Der spannendste Spielort in der letzten Doppelrunde der 1.Frauen-Bundesliga war zweifellos Halle. Es war abzusehen, dass dort sowohl die Entscheidung über den Meistertitel, als auch über den Abstieg fallen würde – und wir waren mittendrin! Gastgeber USV Volksbank Halle musste als Tabellenführer seinen Punkt Vorsprung nur noch gegen unser Team und den SV Medizin Erfurt über die Runden bringen, konnte also eigentlich schon im Vorfeld den Sekt kalt stellen. Deutlich aufregender versprach das Rennen um den Klassenerhalt zu werden. Denn drei der vier Schlusslichter – von denen nur eines den Abstieg vermeiden konnte – waren in Halle vor Ort. Der SK Lehrte (4 Punkte) spielte andernorts gegen starke Gegner, sodass für uns die Hoffnung bestand, dass sie auf ihrem Punktekonto sitzen bleiben würden. An unserem Spielort traf der SAV Torgelow (2) zunächst auf den SV Medizin Erfurt (1) und dann auf uns (3). Bei „normalem“ Verlauf bahnte sich für die letzte Runde also ein wahres Abstiegsendspiel gegen Torgelow an.
Grund zum Zittern gab es allerdings schon deutlich vor Beginn der Samstagsrunde um 14 Uhr. Während Susan Großmann und Franziska Fey selbständig zum Spielort kamen, fuhren Sonja Häcker, Larissa Erben, Nadine Stitterich und Betreuer Alexander Häcker mit dem Auto und luden unterwegs Katja Jussupow auf. Bei geplanten 4,5 Stunden Fahrzeit wurde als Ankunftszeit 13 Uhr angepeilt. Doch dieser Zeitpuffer schmolz schon frühzeitig, als sich schon nach einer knappen Stunde Fahrzeit auf der Autobahn für rund 90 Minuten überhaupt nichts mehr bewegte. Katja musste daher am Treffpunkt einige Zeit alleine totschlagen, aber immerhin gelang es anschließend gerade noch, den Boden wieder gut zu machen, sodass man pünktlich um 14 Uhr am Spiellokal eintraf.
Der USV Halle trat wie meist in der Saison fast in Bestbesetzung mit fünf Großmeisterinnen an und war im Schnitt an jedem Brett um mehr als 250 Elo-Punkte besser besetzt. Erstaunlicherweise spiegelte sich das aber lange Zeit in keiner Weise an den Brettern wider. Es gelang unseren Mädels in allen sechs Partien über weite Strecken fast auf Augenhöhe mitzuhalten. An vorderster Stelle ist wieder einmal Katja zu nennen, die mit Schwarz gegen WGM Ildiko Madl spielte. Katja erreichte gegen die erfahrene ungarische Großmeisterin eine Abwicklung, in der sie zwei Türme für die Dame erhielt. Diesen Vorteil spielte sie anschließend konsequent aus, gewann eine Figur, zwang ihre Gegnerin zur Aufgabe und brachte uns so gegen den Tabellenführer in Front.
Zwischenzeitlich hatte sich bei Larissa ihre schlechtere Bauernstruktur bemerkbar gemacht, sodass sie in einem schwierigen Endspiel landete. Etwa um die Zeitkontrolle nach vier Stunden war ihre Stellung nicht mehr zu halten. Fast zeitgleich ließ Franzi, die immer etwas passiv, aber solide stand, ihre Grundreihe ungeschützt, was zum schnellen Ende führte. Damit hatten die Favoritinnen die Verhältnisse vordergründig wieder zu Recht gerückt. Doch die übrigen Partien boten allen Anlass zu Optimismus. Sonja hatte am Spitzenbrett gegen WGM Tatiana Kononenko ein ausgeglichenes Springerendspiel erreicht und wehrte alle gegnerischen Einbruchsversuche ab. Auch bei Susan gegen WGM Jordanka Belic war ein Springerendspiel entstanden, in dem sie sogar einen Mehrbauern besaß. Noch bessere Siegchancen gab es bei Nadine gegen WGM Anna Sharevich, die im Endspiel sogar zwei Mehrbauern hatte und vor der schwierigen Wahl stand, einen davon zurückzugeben oder zum Materialverhältnis mit je Turm und ungleichfarbigem Läufer abzuwickeln.
Bei Sonja wurde dann auch remis vereinbart. Susan geriet in gewisse Gefahr, dass ihr Springer gefangen würde. Offenbar waren nun beide Seiten bestrebt, das Risiko gering zu halten, zumal Susan die Option hatte, ihren Springer für drei Bauern zu opfern – mit unklaren Folgen. So wurde auch hier zum Remis abgewickelt. Nun hatte Nadine als jüngste Spielerin des Wochenendes die Chance, gegen die weißrussische Großmeisterin für die Sensation zu sorgen, uns ein 3:3 gegen den Tabellenführer zu sichern und womöglich zugleich die Meisterschaft mit zu entscheiden. Diese Gedanken kamen ihr glücklicherweise während der Partie nicht. Sie entschied sich für die Variante mit zwei Mehrbauern, aber ungleichfarbigen Läufern. Leider gelang es ihrer Gegnerin im weiteren Verlauf mithilfe eines Freibauern Turmtausch zu erzwingen, wonach die Stellung remis war.
Damit stand am Ende eine 2,5:3,5-Niederlage, wobei in der Mannschaft aber die Überraschung über die eigene Leistung gegenüber der leichten Enttäuschung deutlich vorherrschte. Nachdem sich zuvor Torgelow knapp gegen Erfurt durchgesetzt hatte, war ohnehin klar, dass die Entscheidung über den Abstieg in der letzten Runde fallen würde. In der Tabelle hatte uns Torgelow mit nun 4 Punkten überholt, sodass in der direkten Begegnung nur ein Sieg zum Klassenerhalt reichen konnte.
Ein schlechtes Zeichen für den entscheidenden Kampf gab es allerdings bei Katja, die schon gegen Ende ihrer Samstagspartie über gesundheitliche Probleme klagte. Abends fühlte sie sich dann endgültig fiebrig, was sich auch über Nacht nicht legte und am Sonntag wieder stärker wurde. Umso höher ist es ihr anzurechnen, dass sie sich ihrer Bedeutung für die Mannschaft bewusst war und in ihrer Partie dennoch Verantwortung übernahm.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Begegnung am Sonntag ein komplettes Kontrastprogramm zum Samstag darstellte. Zum einen ist es natürlich etwas ganz anderes, gegen den Tabellenführer anzutreten, als gegen einen Abstiegskonkurrenten, wobei auch Torgelow nominell favorisiert war. Zum anderen gilt das aber leider auch uneingeschränkt für den Spielverlauf.
Denn diesmal gab es kaum Partien, die Anlass für Optimismus gaben. Susan verrechnete sich frühzeitig und verlor eine Qualität. Katja spielte wie erwähnt sehr ambitioniert, opferte in der Eröffnung einen Bauern und erhielt auch eine chancenreiche Stellung. Dann ließ sie Damentausch zu, wobei es so schien, als würde sie anschließend den Bauern mit besserer Stellung zurückgewinnen. Leider übersah sie dabei eine gegnerische Möglichkeit, die eine Figur kostete. Vor allem diese plötzliche Niederlage traf uns hart und so schien beim Stand von 0:2 der Klassenerhalt bereits außer Reichweite.
Unsere Schwarzpartien von Sonja, Larissa und Nadine standen zunächst alle mit vielleicht normalem leichtem Nachteil. Bei Larissa bestand aber gewisse Hoffnung, da ihre Gegnerin viel Zeit verbrauchte und Larissa einen Zentralbauern attackieren konnte. Richtung Zeitnotphase spitzte sich die Partie zu, wobei Larissa in einer Abwicklung etwas übersah und völlig breit stand.
Franzi hatte inzwischen einen Bauern verloren, während Sonja und Nadine ausgeglichene bis leicht schlechtere Endspiele erreicht hatten. Doch jetzt – als es praktisch schon zu spät war – kam immerhin so etwas wie eine Wende. Larissa rettete sich in ein freilich immer noch verlorenes Endspiel mit Minusbauern, in dem ihre Gegnerin im 39.Zug die Zeit fallen ließ. Währenddessen gewann Franzi eine Qualität, sodass man hier auch auf einen Sieg hoffen konnte. Nun hätte wir aus den Partien von Sonja und Nadine noch 1,5 Punkte gebraucht, doch leider hatte keine der beiden auch nur eine geringe Gewinnchance. Nadine landete schließlich sogar in einem verlorenen Turmendspiel, während Sonja ein sicheres Remis einfuhr. Dass Franzi ihren Vorteil am Ende souverän verwertete und damit ihren ersten Sieg einfuhr, bildete immerhin einen erfreulichen Saisonabschluss.
Nach der 2,5:3,5-Niederlage beendet unser Frauenteam die Saison als Vorletzter. Deutscher Meister wurde der USV Halle, allerdings erst nach einem erneut knappen 3,5:2,5-Sieg gegen Erfurt. Der direkte Wiederabstieg ist für unser junges Team natürlich kein Beinbruch, deshalb hielt sich die Enttäuschung am Ende auch deutlich in Grenzen. Dazu hat sicher auch beigetragen, dass der Spielverlauf nie besonders große Hoffnungen weckte. Vielleicht hatte die Runde gegen Halle zuvor viel Energie gekostet, vielleicht war es auch ein bisschen die Angst vor der eigenen Courage. Allein der Umstand, dass wir wirklich bis zuletzt realistische Chancen hatten, den Klassenerhalt zu schaffen, ist mehr, als man vor der Saison erhoffen konnte. Wie stark sich die Mannschaft insgesamt präsentiert hat, zeigt sich auch daran, dass sie mit 26 Brettpunkten deutlich mehr erzielt hat, als die drei anderen Abstiegskandidaten. Bei vier knappen 2,5:3,5-Niederlagen war zweifellos der eine oder andere Mannschaftspunkt mehr drin.
Insofern ist es schon traurig, dass es jetzt erstmal wieder vorbei ist. In jedem Fall hat die Saison sehr viel Spaß gemacht und unsere Spielerinnen sicherlich auch schachlich weitergebracht. Nach vorläufiger Prüfung haben sowohl Katja Jussupow, als auch Larissa Erben jeweils eine WIM-Norm erzielt, dafür herzlichen Glückwunsch!
Ein bemerkenswertes Saisonergebnis erzielte auch Nadine Stitterich, die mit 17 Jahren als jüngste im Team genauso wie Sonja, Katja und Larissa alle Saisonspiele bestritten hat. Nadine holte gegen ihre sechs stärksten Gegnerinnen mit einem Elo-Schnitt von 2229 drei Punkte aus sechs Partien, was von der Leistung her auch nicht weit von einer Norm entfernt wäre. Dass es dafür nicht gereicht hat, liegt daran, dass sie gegen ihre fünf schwächsten Gegnerinnen (Schnitt 1948) nur einen Punkt holte! Das zeigt aber, wie viel Luft nach oben bei ihr noch vorhanden ist.
Letzteres gilt freilich für alle, denn – wurde das schon mal erwähnt…? – die Mannschaft ist unglaublich jung! Abgesehen von Annegret Weng (3 Einsätze), die leider nur in den Heimspielen verfügbar war, wo wir prompt die Punkte erzielten, und Gabriele Häcker (2 Einsätze), kamen ausschließlich Spielerinnen im Altersbereich von 16 bis 24 Jahren zum Einsatz. Auch das ist sicherlich ein Grund für die stets hervorragende Stimmung in der homogenen Mannschaft und die guten Saisonleistungen. Damit besteht also die Hoffnung, dass das Team in ähnlicher Besetzung zusammenbleiben und sich weiterentwickeln kann. Vielleicht kommen wir in naher Zukunft dann wieder zurück nach oben.
Zum Abschluss gilt unser Dank all denen, die im Saisonverlauf unsere Mannschaft unterstützt, Ergebnisse verfolgt, Heimspiele besucht und Daumen gedrückt haben!
1.Frauen-Bundesliga, 10.Spieltag:
USV Volksbank Halle - SV Wolfbusch 3½:2½
Kononenko, Tatiana - Häcker, Sonja ½:½
Madl,Ildiko - Jussupow, Ekaterina 0:1
Melamed, Tatiana - Erben, Larissa 1:0
Belic, Jordanka - Großmann, Susan ½:½
Sharevich, Anna - Stitterich, Nadine ½:½
Eckhardt, Claudia - Fey,Franziska 1:0
11.Spieltag: Endstand (Klick auf Vereinsnamen zeigt Einzelergebnisse)
SV Wolfbusch - SAV Torgelow 2½:3½
Häcker, Sonja - Kludacz, Magdalena ½:½
Jussupow, Ekaterina - Jakubiec, Edyta 0:1
Erben, Larissa - Kunze, Kerstin 1:0
Großmann, Susan - Chlost, Marlena 0:1
Stitterich, Nadine - Timme, Karin 0:1
Fey, Franziska - Stemmler, Lysan 1:0
Zwei Bilder vom Spiel gegen Torgelow:
Von links nach rechts: Sonja Häcker, Katja Jussupow, Larissa Erben
Von hinten nach vorn: Susan Großmann, Nadine Stitterich, Franziska Fey |